Kap.4: Drei Narren; Nächtliche Diskussionen im Palast der gigantischen Männlichkeit

 

Seitdem waren die Dinge außer Kontrolle geraten. In den hundert Jahren seit diesem Vorfall waren im Gebiet des Berges Yujun insgesamt siebzehn Bräute verschwunden. Manchmal gab es ein paar Jahrzehnte Frieden, und manchmal wurden in einer kurzen Zeitspanne von einem Monat zwei Bräute vermisst. Schnell verbreitete sich eine schreckliche Legende: Auf dem Berg Yujun lebte ein Geisterbräutigam, und wenn ihm eine Frau gefiel, dann entführte er sie auf ihrem Weg zum Gemahl und verschlang den Hochzeitszug.

Ursprünglich wäre diese Angelegenheit nicht dem Himmel gemeldet worden. Während siebzehn Bräute verschwanden, gab es schließlich Tausende weitere, denen es vollkommen gut ging. So oder so konnten die Mädchen nicht gefunden werden, und sie konnten nicht beschützt werden, selbst wenn alle ihr Bestes taten; so konnten sie doch nichts dagegen unternehmen. Nur daraus folgte, dass es nun weniger Familien gab, die bereit waren, ihre Töchter in diese Gegend zu verheiraten, und die Einheimischen wagten es nicht, aus ihren Hochzeiten ein großes Fest zu machen. Aber so kam es, dass der Vater der siebzehnten Braut ein hoher Beamter war, der seine Tochter über alles liebte. Als er von der Legende hörte, wählte er akribisch vierzig tapfere und fähige kriegerische Männer aus, um den Hochzeitszug seiner Tochter zu eskortieren. Aber die Tochter verschwand trotzdem.

Nun hatte dieser Geisterbräutigam das Hornissennest wirklich aufgewühlt. Jeder, den dieser alte Beamte im Sterblichen Reich finden konnte, konnte nichts dagegen tun, also versammelte er in einem Anfall von Empörung eine Gruppe hochrangiger Freunde und hielt eine Menge verrückter Gottesdienste ab. Er folgte sogar der Führung eines großen Meisters und öffnete seine Vorräte, um die Armen zu ernähren; und weitere Dinge dieser Art folgten. Es war ein gewaltiger Aufruhr, und schließlich alarmierte genau das ein paar obere himmlische Beamte. Andernfalls war es für die Stimmen unbedeutender Sterblicher praktisch unmöglich, die Ohren der Götter im Himmel zu erreichen.

“Das ist der Kern dieses Falls", sagte Xie Lian.

Da die beiden immer noch sehr unkooperativ wirkten, wusste er nicht, ob sie tatsächlich zugehört hatten. Wenn sie nicht zugehört hatten, dann musste er die Geschichte noch einmal erzählen. Nan Feng blickte jedoch auf und runzelte die Stirn.

"Gibt es Ähnlichkeiten zwischen den vermissten Bräuten?"

"Es gibt die Armen und die Reichen, die Schönen und die Hässlichen, es gibt rechtmäßige Ehefrauen und es gibt Konkubinen, kurz gesagt: Es gibt kein Muster", sagte Xie Lian. "Wir können überhaupt nicht bestimmen, was die Vorlieben dieses Geisterbräutigams sind."

Nan Feng brummte und hob seine Teetasse hoch, um einen Schluck zu nehmen, und schien jetzt nachzudenken. Fu Yao hingegen rührte den Tee, den Xie Lian in seine Richtung geschoben hatte, nicht an und hatte die ganze Zeit träge seine Finger mit einem weißen Taschentuch gereinigt.

Er sagte kühl, während er noch wischte: "Eure Hoheit, woher willst du wissen, dass es ein Geisterbräutigam ist? Das kann man doch noch nicht sagen, da es noch nie jemand gesehen hat. Wie sollen wir also wissen, ob es ein Mann oder eine Frau ist, ob es alt oder jung ist? Bist du mit deinem Urteil nicht etwas schnell?"

Xie Lian grinste. "Diese Schriftrolle ist eine Zusammenfassung eines Zivilbeamten aus dem Palast von Ling Wen. Der Geisterbräutigam ist nur die übliche Bezeichnung dafür. Was du gesagt hast, ergibt allerdings sehr viel Sinn."

Sie sprachen noch etwas mehr, und Xie Lian erkannte, dass die Gedanken dieser beiden jungen Kriegsbeamten recht klar waren. Obwohl sie nicht sehr freundlich wirkten, so hielten sie sich auch nicht zurück wenn sie über Dinge diskutierten. Xie Lian fühlte sich erleichtert. Als er aus dem Fenster schaute, war es schon spät geworden, so dass die drei den kleinen Laden vorerst verließen. Xie Lian setzte sich seinen Bambushut auf und ging ein Stück, bis er plötzlich bemerkte, dass die beiden hinter ihm ihm nicht folgten, und er sah verwirrt zurück. Es stellte sich heraus, dass auch die anderen beiden ihn verwirrt beobachteten.

Nan Feng fragte: "Wohin gehst du?"

"Ich suche einen Ort, wo ich die Nacht verbringen kann", antwortete Xie Lian. "Fu Yao, warum rollst du schon wieder mit den Augen?"

Nan Feng fragte stattdessen verwirrt weiter: "Warum gehst du dann in die Wildnis?"

Xie Lian übernachtete oft in der Wildnis und schlief auf der Straße. Es störte ihn nicht, solange er ein Laken ausbreiten und einfach so die Nacht verbringen konnte. Daher war er routinemäßig gerade dabei, eine Höhle zu finden, wo er ein Lagerfeuer machen konnte, so wie er es immer getan hatte. Aber erst mit Nan Fengs Erinnerung wurde ihm plötzlich klar, dass Nan Feng und Fu Yao beide himmlische Beamte unter einem Kriegsgott waren; wenn es in der Nähe irgendwelche Nan-Yang-Tempel oder Xuan-Zhen-Tempel gab, dann konnten sie direkt dort hineingehen und sie brauchten nicht mehr draußen in der Wildnis zu schlafen.

Kurze Zeit später fanden die drei in einer unglaublich unscheinbaren kleinen Ecke einen zerfallenen Schrein, der mit einer runden und kleinen Statue einem ‘Herrn der Erde und des Bodens’ gewidmet war. Mit Weihrauchresten und zerbrochenen Platten sah dieser Tempel überaus trostlos aus. Xie Lian rief ein paar Mal; doch da dieser Herr der Erde und des Bodens seit Jahren von niemandem mehr angebetet oder gerufen worden war, dauerte es etwas, bis dieser den Ruf hörte, und er seine Augen öffnete. Er sah drei Menschen vor seinem Schrein stehen.

Die beiden links und rechts waren beide von einem Glanz spirituellen Lichts wie die Neureichen eingehüllt, ihre Gesichter waren kaum sichtbar, und die Gottheit sprang sofort in Alarmbereitschaft.

Mit zitternder Stimme fragte er: "Haben die drei himmlischen Beamten diesem Demütigen etwas zu befehlen?”

Xie Lian neigte den Kopf. "Keine Befehle. Ich wollte nur fragen, ob es hier örtliche Tempel gibt, die entweder General Nan Yang oder General Xuan Zhen verehren?"

Der Herr des Bodens und der Erde wagte es nicht, ihn zu beleidigen, und antwortete: "Ähm, ähm, ähm..." Dann antwortete er hastig mit einem Deut seines Fingers: "Sieben Kilometer von hier gibt es einen Stadttempel, und derjenige, der verehrt wird, ist… ist… ist der General Nan Yang.”

Xie Lian legte seine Hände zum Gebet zusammen. "Vielen Dank."

Dieser Herr des Bodens und der Erde war jedoch von den beiden beballten Quellen spiritueller Macht auf beiden Seiten von Xie Lian geblendet, so dass er schnell verschwand. Xie Lian fummelte ein paar Münzen heraus und legte sie vor den Altarschrein, und als er sah, dass ausgebrannte Räucherstäbchen auf den Boden gefallen waren, hob er sie auf. Während der ganzen Zeit rollte Fu Yao mit den Augen, so sehr, das Xie Lian ihn schon fast fragen wollte, ob seine Augen davon nicht müde wurden.

Nachdem sie sieben Kilometer gelaufen waren, entdeckten sie tatsächlich den örtlichen Stadttempel, der feuerrot am Straßenrand stand. Der Tempel war zwar klein, aber er hatte alles, und die Menschen gingen dort außerordentlich lebhaft ein und aus. Die drei verbargen ihre Gestalten und betraten den Tempel; in der Halle wurde eine göttliche Statue des Kriegsgottes Nan Yang aus Ton angebetet, die in einer Rüstung und mit einem Bogen in der Hand bekleidet war.

Als Xie Lian diese göttliche Statue sah, brummte er innerlich.

In einem kleinen Tempel auf dem Land konnte man erwarten, dass die Herstellung und Bemalung der göttlichen Statuen nicht besonders war, aber im Großen und Ganzen unterschied sich diese Statue immer noch deutlich von Xie Lians eigenem Eindruck von Feng Xin.

Deformierte göttliche Statuen waren jedoch etwas, an das sich jeder himmlische Beamte bereits gewöhnt hatte. Abgesehen davon, dass ihre eigenen Mütter sie nicht wiedererkennen würden, gab es himmlische Beamte, die sich nicht einmal selbst erkannten, wenn sie manchmal ihre eigenen Statuen sahen. Schließlich gab es nicht viele Handwerksmeister, die die wirklichen Gestalten der himmlischen Beamten gesehen hatten, so dass die Statuen entweder schön deformiert oder schrecklich entstellt waren. Man konnte daher oftmals nur anhand von Haltung, den spirituellen Waffen, der Kleidung oder einer Krone festzustellen, um welchen himmlischen Beamte es sich handelte.

Normalerweise wurde das Aussehen der göttlichen Statue des himmlischen Beamten immer besser, je wohlhabender die Gegend war. Je verarmter ein Ort, desto schlechter war wohl auch der Geschmack der Handwerkskunst, und desto tragischer wurde die Skulptur. Um von der Gegenwart zu sprechen, so waren es nur göttliche Statuen von General Xuan Zhen, dessen Aussehen immer gut gelungen war. Warum? Weil allen anderen himmlischen Beamten war es egal, dass ihre Statuen hässlich waren, und sie beließen sie so, wie sie waren. Aber wenn Mu Qing sah, dass seine Statuen hässlich geformt waren, zerstörte er sie entweder insgeheim und ließ sie dann von Menschen neu formen, oder er erschien in Träumen, um ihnen seinen Missfallen auszudrücken. Das ging eine lange Zeit so, und die großen Gläubigen hatten dadurch alle gelernt, dass sie einen Handwerksmeister finden mussten, der wunderschön modellieren konnte!

Alle Tempel von Xuan Zhen waren genau so, wie ihr General: besonders und geschmackvoll. Nachdem Fu Yao den Nan Yang-Tempel betreten hatte, kritisierte er zwei ganze Stunden lang an dieser Nan Yang-Statue von Kopf bis Fuß herum; etwas darüber, wie das Aussehen verformt war, die Farben unsauber, die Handwerkskunst roh, der Geschmack bizarr. Xie Lian beobachtete, wie die blauen Adern auf Nan Fengs Stirn langsam hervortraten, und er dachte bei sich, dass es besser wäre, schnell ein anderes Gesprächsthema zu finden, um das Thema zu wechseln.

Wie es der Zufall so wollte, kam ein Mädchen herein, um zu beten, und sie kniete sich aufrichtig hin.

Xie Lian sprach warmherzig auf. "Apropos, das Hauptgebiet von Nan Yang Zhenjun liegt doch eigentlich im Südosten. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ihr Jungs auch im Norden eine solche Anhängerschaft haben würdet.”

Als die Menschen Tempel und Paläste bauten, ahmten sie eigentlich die göttlichen Paläste des himmlischen Reiches nach; was die göttlichen Statuen betrifft, so waren sie ein Spiegelbild des ehrwürdigen Selbst der himmlischen Beamten. In den Tempeln versammelten sich die Gläubigen und beteten, was für die himmlischen Beamten zu einer wichtigen Quelle spiritueller Kraft wurde. Und aus verschiedenen Gründen - wie Geographie, Geschichte und Bräuche - verehrten die Menschen in verschiedenen Regionen oft unterschiedliche Götter. Die spirituelle Macht eines himmlischen Beamten wurde auf dem eigenen Territorium bis zum Maximum entfesselt, und das war der hauptsächliche Vorteil eines Hauptgebietes. Nur für einen himmlischen Beamten wie den Großen Himmelskaiser, der Gläubige aus der ganzen Welt hatte und überall Tempel besaß, war die Vorstellung von einem Hauptgebiet bedeutungslos. Es war daher an und für sich eine gute Sache, dass der göttliche Tempel seines eigenen Generals auch außerhalb seines eigentlichen Bereiches so beliebt war. Nan Feng sollte stolz sein, aber seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war dies ganz und gar nicht der Fall.

Fu Yao schmunzelte leicht. "Ja, ja, er wird zutiefst geliebt."

Xie Lian sagte: "Aber, ich habe nur eine Frage, von der ich nicht weiß, ob..."

"Wenn du nun sagen willst, 'Ich weiß nicht, ob es angemessen ist', dann sag am besten gar nichts", sagte Nan Feng.

Nein, ich wollte sagen 'ich weiß nicht, ob jemand die Antwort kennt', dachte Xie Lian.

Aber er hatte das Gefühl, dass es nicht gut wäre, wenn er es sagen würde, und so beschloss er schliesslich, das Thema wieder zu wechseln.

Doch unerwartet sagte Fu Yao lustlos: "Ich weiß, was du fragen wolltest. Du fragst dich sicher bestimmt, warum so viele weibliche Gläubige zum Gebet herkommen?"

Das war in der Tat die Frage, die Xie Lian im Sinn hatte.

Unter den Kriegsgötter hatte es immer weniger weibliche Gläubige als männliche gegeben; nur er selbst war vor achthundert Jahren eine Ausnahme gewesen. Der Grund für diese Ausnahme war jedoch sehr einfach… Es war nur ein Wort: Gutaussehend.

Er wusste sehr wohl, dass es nicht daran lag, dass er vornehm war oder dass er außergewöhnliche spirituelle Kräfte besaß. Es lag lediglich daran, dass seine göttliche Statue gut aussah, und auch seine Palasttempel sahen gut aus. Praktisch alle seine Palasttempel wurden von der königlichen Familie erbaut, und die bestqualifizierten Experten und Handwerker des Königreichs wurden gerufen, um die göttlichen Statuen nach seinem Gesicht zu formen. Wegen dieses Satzes "Körper im Abgrund, Herz im Paradies" fügten die Kunsthandwerker seinen göttlichen Statuen oft gerne Blumen hinzu und pflanzten in seinen Tempeln ein Meer aus Blumenbeeten und blühenden Bäumen an. Daher hatte er zu dieser Zeit auch noch einen anderen Titel: ‘Der blumengeschmückte Kriegsgott’. Den Gläubigen gefiel, dass seine göttlichen Statuen gut aussahen, und sie mochten es, dass seine Palasttempel mit Blumen dekoriert waren, und allein dadurch waren sie bereit, zwanglos hineinzugehen, um zu beten.

Aber die üblichen Kriegsgötter ließen ihre Gesichter oft so modellieren, dass sie ernst, wild und kalt aussahen, aufgrund ihrer großen bedrohlichen Aura. Wenn gläubige Frauen soetwas also sahen, beteten sie stattdessen lieber zu den Bodhisattvas. Obwohl diese Nan Yang-Statue nichts von einer tödlichen Aura hatte, war sie doch weit davon entfernt, als gutaussehend betrachtet zu werden, und dennoch beteten hier mehr weibliche Gläubige als männliche. Nan Feng schien diese Frage auch nicht beantworten zu wollen, was Xie Lian noch neugieriger machte. In diesem Moment beendete das Mädchen ihr Gebet, stand auf, um nach dem Weihrauch zu greifen, und drehte sich dann herum.

Nach dieser Drehung stupste Xie Lian die beiden anderen an. Die anderen beiden schienen schon sehr genervt zu sein, und nach seinem Stupser sahen sie aus, als würden ihre Gesichtszüge noch weiter nach unten fallen.

"Wirklich ekelhaft!" rief Fu Yao aus.

Xie Lian schluckte erschrocken und schimpfte dann: "Fu Yao, so kann man nicht über Mädchen reden.”

Wenn er ehrlich sein sollte, dann stimmt es, was Fu Yao gesagt hatte. Das Gesicht dieses Mädchens war unvergleichlich flach, als hätte es jemand zu einem Pfannkuchen schlagen wollen. Ihre Gesichtszüge waren viel zu ausgeprägt, so dass es nicht mehr natürlich wirkte; und wenn man sie kurz und knapp beschreiben müsste, dann würde man nur ‘schiefe Nase und schräge Augen’ antworten können.

Allerdings hatte Xie Lian überhaupt nicht registriert, ob sie schön oder hässlich war. Ihm war eigentlich nur aufgefallen, als sie sich drehte, dass auf der Rückseite ihres Rocks ein riesiger Riss zu sehen gewesen war, und er konnte wirklich nicht so tun, als hätte er ihn nicht gesehen.

Fu Yao war zunächst erschrocken, aber er beruhigte sich schnell. Die hervorgetretenden Adern auf der Stirn von Nan Feng verschwanden ebenfalls augenblicklich.

Als Xie Lian sah, wie sich sein Gesicht so drastisch verfärbte, beruhigte er sich schnell: "Keine Panik, keine Panik".

Das Mädchen nahm den Weihrauch, kniete erneut nieder und sagte beim Beten: "Möge General Nan Yang seinen Segen geben. Diese Gläubige Xiao Ying betet dafür, dass dieser Geisterbräutigam bald gefangen genommen wird, damit keine weiteren Unschuldigen durch ihn zu Schaden kommen..."

Sie war aufrichtig und andächtig in ihren Gebeten und spürte überhaupt nichts Auffälliges hinter sich und war sich auch nicht bewusst, dass drei Männer neben dem Fuß der göttlichen Statue kauerten, zu der sie betete.

Xie Lian ärgerte sich. "Was sollen wir tun? Wir können sie doch so nicht gehen lassen? Jeder, der auf ihrem Heimweg ist, wird es sehen."

Dem Riss auf der Rückseite ihres Rocks nach zu urteilen, war es außerdem offensichtlich, dass ihn jemand absichtlich mit einem scharfen Gegenstand zerrissen hatte. Sie würde also wahrscheinlich nicht nur von einer Schar von Schaulustigen gesehen, sondern auch öffentlich ausgelacht werden, und das wäre wirklich eine erhebliche Demütigung.

Fu Yao war unbekümmert. "Frag mich nicht. Derjenige, zu dem sie betet, ist nicht mein General Xuan Zhen. Man sollte nicht allem Beachtung schenken. Ich habe nichts gesehen."

Währenddessen wurde Nan Feng sehr blass im Gesicht. Er wusste nur abzuwinken, und konnte nicht mehr sprechen. Ein vollkommen feiner, zügelloser, strammer junger Mann war schlagartig gewaltsam mundtot gemacht worden und völlig hilflos. Und so hatte Xie Lian keine andere Wahl, als selbst aktiv zu werden, indem er seine äußere Robe auszog und sie nach unten warf. Diese äußere Robe flatterte einen Moment lang in der Luft und segelte auf den Körper des Mädchens hinunter, wobei sie den sehr uneleganten Riss auf der Rückseite des Rocks des Mädchens bedeckte. Die drei seufzten erleichtert im Einklang.

Diese Brise fühlte sich jedoch wirklich kühl an und erschreckte das Mädchen. Sie sah sich um, zog sich dann dieses neuangelegte Gewand aus und war einen Moment über sein Vorhandensein verwirrt, ehe sie es auf den Altar legte. Sie war sich dessen eigentlich gar nicht bewusst, und nachdem sie den Weihrauch abgelegt hatte, machte sie sich auf den Weg nach draußen. Wenn man sie so herumlaufen ließe, hätte das Mädchen wahrscheinlich nicht mehr das Gesicht, um jemals wieder jemanden ansehen zu können. Die beiden auf jeder Seite von Xie Lian waren entweder festgefroren oder versteinert, völlig nutzlos, wie immer man es sehen wollte, und er seufzte. Nan Feng und Fu Yao spürten nur, dass die Lücke zwischen ihnen plötzlich leer war, und Xie Lian hatte bereits Gestalt angenommen und war heruntergesprungen.

Das Licht der Lampe im Inneren des Tempels war gedämpft, und von seinem Sprung stieg eine kleine Brise auf, die das Feuerlicht zum Flackern brachte. Das Mädchen Xiao Ying sah nur einen verschwommenen Fleck vor ihren Augen, und plötzlich tauchte ein Mann aus der Dunkelheit auf, der ihr mit entblößtem Oberkörper die Hand reichte, und sie war auf der Stelle zu Tode erschrocken.

Genau wie erwartet schrie sie. Als Xie Lian gerade sprechen wollte, holte das Mädchen blitzartig zu einer Ohrfeige aus und schrie: "Belästigung!”

KLATSCH! Und Xie Lian wurde einfach so geohrfeigt.

Die Ohrfeige erklang klar und deutlich, und die beiden, die oben auf dem Altar hockten, spürten beide gleichzeitig, wie die Seite ihrer Münder zuckten.

Xie Lian war über den Schlag jedoch nicht wütend und drückte ihr nur das äußere Gewand fast schon gewaltsam in ihre Arme und flüsterte schnell etwas. Das Mädchen wirkte plötzlich beunruhigt, befühlte ihre Gesäß und errötete daraufhin im Gesicht. In ihren Augen quollen Tränen auf; wer weiß, ob es Wut oder Empörung war. Sie umklammerte die äußere Robe, die Xie Lian ihr gegeben hatte, und stürmte hinaus, bedeckte ihr Gesicht und ließ Xie Lian halb nackt dastehen. Nachdem sie gegangen war, war der Tempel leer. Eine kühle Brise wehte durch die Halle, und plötzlich war es doch ein wenig kühl.

Er rieb sich die Wange, und mit diesem roten Handabdruck auf der einen Hälfte seines Gesichts wandte er sich den beiden anderen zu. "In Ordnung, das Problem ist hiermir gelöst."

Nan Feng zeigte auf ihn. "Hast... hast du dir da ezwa Wunden aufgerissen?"

Xie Lian sah nach unten und ihm entwisch ein erstauntes ‘Oh’.

Nachdem er sich entkleidet hatte, sah er einen Körper, der eigentlich glatt und schön wie Jade war. Nur sein Brustkorb war nun stark bandagiert mit einer Schicht aus weißem, fest gebundenem Tuch; sogar sein Hals und seine Handgelenke waren in diese Bandagen eingewickelt. Unzählige kleine Schnitte waren an den Rändern der weißen Bandagen erkennbar und es wirkte wirklich etwas erschreckend.

Er nahm an, dass sein gestauchter Nacken inzwischen so gut wie geheilt sei, also begann Xie Lian, seine Bandagen zu lösen.

Fu Yao warf ihm einen Blick zu und fragte dann: "Wer war das?"

"Was?", fragte Xie Lian.

"Wer hat mit dir gekämpft?" fragte Fu Yao.

"Gekämpft?" Xie Lian war verwirrt: "Niemand?"

"Aber all diese Verletzungen an deinem Körper..." Nan Feng zögerte.

Xie Lian sah sie ausdruckslos an. "Ich bin von selbst gefallen."

“...”

Das waren in der Tat die Verletzungen, die er sich zugezogen hatte, als er drei Tage zuvor vom Himmel gestürzt war. Wenn es von einem Kampf mit einer anderen Person herrührte, dann wäre er vielleicht nicht so schwer verletzt worden.

Fu Yao murmelte etwas, aber es war unverstänlich. Wie dem auch sei, es war definitiv kein Lob für seine Tapferkeit, also machte sich Xie Lian nicht die Mühe zu fragen, sondern konzentrierte sich nur darauf, die dicke Verbandsschicht von seinem Hals abzunehmen. In der nächsten Sekunde verfinsterten sich die Augen von Nan Feng und Fu Yao und ihr Blick haftete auf seinen Hals.

Etwas wie ein schwarzer Kragen hatte sich um seinen schneeweißen Hals gelegt.

3 Kommentare:

  1. Dankeschön für die Übersetzung 🙂
    Ich folge gerade einer Autorin auf Fanfiction.de die auch diese Geschichte Übersetzt. Vielleicht könnt ihr euch gegenseitig Unterstützen? Ihr Name lautet dort AliceBaskerville.
    LG AriChan

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  2. Eine wirklich tolle Übersetzung!
    Hier merkt man das sehr viel Mühe da drin steckt :)
    Ich hab schon andere auch gelesen und keine ist so schön umgesetzt wie deine!

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  3. Vielen lieben Dank. Leider komm ich nicht so voran wie ich gerne voran kommen würde (zumal ich mehr Subber bin und bald Season 2 kommt und ich mit anderen Projekten auch voll hinterherhinke). Ich sitze oft hier und überlege, wie ich manche Wörter in die deutsche Sprache bringen soll weil es sie schlichtweg eigentlich nicht gibt und "neue Wörter" erfinden ist ja auch blöd. Aber solange alles verstanden wird und es irgendwie gefällt bin ich schon glücklich.

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